Wenn die Drossel früh am Morgen singt

Aus der Taunus Zeitung vom 09.05.2000
Über die Vogelstimmenwanderung während der Naturschutzwoche

Von Gerrit Mai

Wehrheim. Sonntag, 6 Uhr früh am Schwimmbad in Wehrheim. Bis vor kurzem hat es geregnet. Deshalb vermutet Franz Josef Salzmann von der Vogel- und Naturschutzgruppe Wehrheim gleich zu Beginn: "Es kann sein, dass wir jetzt noch nicht so viele Vögel hören. Die müssen sich jetzt erst einmal das Gefieder trocknen." Normalerweise seien um diese Zeit schon alle wach und bereit zu munterem Gezwitscher. Bis zu 60 verschiedene Vogelarten hätten ihre Heimat rund um Wehrheim, berichtet der Experte. Wenn man Glück habe, könnten an einem Vormittag bis zu 30 verschiedene Vogelstimmen zu unterscheiden sein. Dass man lange dazu braucht, die verschiedenen Gesänge auseinander zu halten, wird der Gruppe schnell klar. In den Hecken rund ums Schwimmbad ist eine Gartengrasmücke zu hören, deren "Geschwätz", sich nicht sehr stark von den Tönen der Mönchsgrasmücke unterscheidet, die später im Wald singt. Den Zilpzalp, der ständig seinen Namen ruft, können die Teilnehmer bald heraushören. "Er wird auch als Geldzähler bezeichnet. Mit den harten Tönen, die er zuerst von sich gibt, zählt er das Hartgeld, kurz darauf folgen die weicheren, mit denen er die Scheine zählt", berichtet der Experte.

"Fünf bis sechs Jahre habe ich dazu gebraucht, die Vögel an ihren Stimmen zu erkennen. Durch das der Umgebung angepasste Gefieder sind sie meist nur zu hören und nicht zu sehen", so Salzmann. Mit dem Gesang sicherten sich die Tiere zum einen ihr Revier, zum anderen stelle es die Balz dar, weshalb die Stimmenvielfalt besonders im Frühjahr bis spätestens Anfang Juni am größten sei. Es seien meist die männlichen Tiere, die so um ihre weiblichen Artgenossen werben. Ein sehr interessanter Vogel sei der Trauerfliegenschnäpper, der sehr spät aus dem Süden zurückkomme und Schwierigkeiten habe, eine Bruthöhle zu finden. Da andere Vögel, wie der Buntspecht, gleich mehrere bauten, und die Vogelschutzgruppe außerdem viele Nistkästen aufhänge und diese auch versorge, seien die Probleme nicht ganz so groß. "Der Baumpieper braucht hohe Bäume, die möglichst einzeln stehen sollten mit einer sonnenbeschienenen Wiese darunter", weiß Salzmann. Die faszinierten Zuschauer können kurz darauf erleben, wie der Baumpieper sich in die Lüfte schwingt und dann mit lautem piep, piep, piep, regelrecht zu Boden schweben lässt. Sein Gesang unterscheidet sich schon von dem der Singdrossel, wie auch die Laien feststellen können. Ein interessanter Spaziergang endet nach vier Stunden, aber die Beteiligten haben festgestellt, dass es viel länger dauert, nur einige der Vogelarten in unserer Heimat an ihren Stimmen erkennen zu lernen.